Die Vereinsfahne

Die Vereinsfahne des 1895 gegründeten Turnverein Bonlanden ist es wert etwas näher betrachtet zu werden, denn sie spiegelt nicht nur ein Stück Vereinsgeschichte, sondern auch deutsche Turngeschichte wider. Vereinsfahnen stellten insbesondere in der Vergangenheit einen Teil der Identität der Turnbewegung dar. Bei (Vereins) Festivitäten und Umzügen, aber auch Trauerfeiern waren oder sind sie dabei. Über die Jahrzehnte hinweg haben sie sich in ihrer Beschaffenheit und Bedeutung, wie auch der Symbolhaftigkeit verändert.

Der Filderbote vom 24. Juni 1902 verweist auf die Fahnenweihe des Turnverein Bonlanden in Verbindung mit einem Preisturnen. Diese fand am Sonntag, den 15. Juni des Jahres statt. Nach dem Weckruf um 6.00 begann pünktlich um 7.00 das Preisturnen. Um 14.00 beteiligten sich 16 Vereine an einem Festzug. Der Empfang auf dem Festplatz wurde durch Gesangseinlagen des Liederkranz Bonlanden feierlich umrahmt. Die Festrede hielt Jakob Fritz aus Plattenhardt. Obwohl Frauen und Mädchen in den meisten Vereinen noch nicht als Mitglied beitreten durften, übernahmen diese oft die ehrenvolle Aufgabe die Fahne an den Verein zu übergeben. Oft war diese auch von ihnen angefertigt. Ob letzteres in Bonlanden der Fall war ist nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass Fräulein Marie Bopp die Fahne offiziell an den Fahnenträger G. Hild überreichte. Abgeschlossen wurden die Feierlichkeiten mit den Worten: „Мöchten sich doch diejenigen, die dem Turnverein noch fern stehen auch zu uns scharen“.

Die 1902 eingeweihte Vereinsfahne zeigte unterschiedliche Symbole mit Bezügen zur Turnbewegung. Den Farben, Formen und Motiven sowie den gestickten Turnsprüchen, Turnerkreuzen und bildhaften Darstellungen kamen eine symbolische Bedeutung zu.

Vorderseite der Fahne

Ein Wappen mit den Farben „Schwarz, Rot, Gold“ darauf der Turnerspruch „Frei Heil“ der Arbeiterturnbewegung sind auf der Fahnenvorderseite mit ihrem weißen Untergrund zu sehen. Ein kreisförmiger Eichenzweig ziert das Wappen. Die Eiche und das Eichenlaub symbolisieren in der deutschen Geschichte Stärke, Standfestigkeit, aber auch Nationale Einheit. Seitlich finden sich das Gründungsjahr des Turnvereins (1895) und das Jahr der Fahnenweihe (1902).

Rückseite der Fahne

Auf rotem Untergrund ist ein jubelnder Turner in der Hand einen Eichenkranz tragend und auf einem Eichenast stehend eingestickt. Der Gürtel des Turners in den Farben „Schwarz, Rot, Gold“ dargestellt, die Farben der Revolution von 1848 für Demokratie. Das ist untypisch für die Zeit der Entstehung der Fahne, die im Kaiserreich war. Sein Hemd zeigt Blutspuren und er stützt sich, seinen Hut haltend, auf das Symbol der Arbeiterturnbewegung, die Kürzel aus dem Motto „frisch, fröhlich, stark und treu“. Widersprüchlich ist, dass in den vier Ecken „frisch, fromm, froh und frei“ der Sinnspruch der bürgerlichen Turnbewegung, der Deutschen Turnerschaft (DT), zu lesen ist.

Wie im allgemeinen Teil geschrieben, wechselte der Turnverein Bonlanden 1912 von der bürgerlichen zur Arbeiterturnbewegung, die sich auch durch eine unterschiedliche Symbolik, zum Teil auch Sprache auszeichnete. Es kann gemutmaßt werden, dass durch diesen Wechsel auch die Fahne verändert wurde.

Oberhalb des Turners sind die Worte „Ein freies Volk voll Einigkeit und Kraft, sei das Panier der Turnerschaft“ auf die Fahne eingestickt. Hier ist eine deutliche Lücke auf dem Stoff vor Turnerschaft erkennbar. Die noch vagen erkennbaren Überreste

lassen vermuten, dass hier ursprünglich ´Deutsche´ stand, das wäre dann ursprünglich Deutsche Turnerschaft gewesen. Diesen Bezug zur bürgerlichen Turnbewegung musste man entfernen. Die Frage, die bleibt, ist, warum wurde das Motto der bürgerlichen Turnbewegung „frisch, fromm froh und frei“ in den Ecken der Fahne nicht ausgebessert?

Im Dritten Reich als der Arbeiter-Turn-Verein in die Turngemeinde Bonlanden übergegangen war, war auch die Vereinsfahne von Bedeutung. Der Waldenburger Bezirksnotar und Liquidator Ölschläger beauftragte am 20. Dezember 1933 den 1. Vorsitzenden Erwin Ocker die beiden Vereinsfahnen vom Vereinslokal ins Rathaus zur Verwahrung zu bringen. Ocker versprach dies mit der Bitte, die ältere Fahne dem neuen Verein zu überlassen (Brief vom 5. Januar 1934). Einen Monat später wurde der neue Verein mehrmals aufgefordert seine Fahne zu ändern. Das Oberamtsgericht hatte im Februar 1934 erlassen: „Die ältere der beiden vorhandenen Vereinsfahnen wird der Turngemeinde unentgeltlich überlassen unter der Bedingung, dass sämtliche an den früheren marxistischen Besitzer erinnernde Inschriften unverzüglich entfernt werden. Ich ersuche, die Änderung der Fahne zu kontrollieren und hierüber seinerzeit zu berichten“. Das ist wohl nicht geschehen, denn es gab am 14. September 1935 eine eindringliche Ermahnung durch Ölschläger, der orderte, dass am kommenden Dienstag die überlassene Vereinsfahne auf das Rathaus in Bonlanden gebracht werden solle, damit er überprüfen könne, ob der Auflage des Amtsoberamts Stuttgart auch nachgekommen worden sei.

Vermutlich kam der Verein diesem Schreiben nicht nach, denn Mitte Dezember 1935 schrieb Ölschläger einen weiteren Brief an die Turngemeinde mit einem letzten Aufruf bis 5. Januar 1936 die Fahne entsprechend zu ändern.

Leider ist nicht bekannt, wie diese Geschichte zu Ende ging. Betrachtet man die beschriebene Fahne, so gab es keine Änderungen in ihrer Symbolik. Was die zweite erwähnte Vereinsfahne angeht, so gibt es keine weiteren Quellen ihrer Existenz, deshalb wird sie nicht weiters erwähnt.

Heute spielt die Fahne keine Rolle mehr im aktiven Vereinsleben.

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